Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung = Entgeltfortzahlung? Nicht immer! Was Sie wissen sollten – Der richtige Umgang mit dem hohen Beweiswert der AU


Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) ist ein zentrales Thema im Arbeitsverhältnis – vor allem, wenn Zweifel aufkommen: Ist der Arbeitnehmer wirklich krank? Muss der Arbeitgeber zahlen? Wie sieht die Rechtslage aus?

Dieser Beitrag erklärt, wie der hohe Beweiswert der AU funktioniert, wann er erschüttert werden kann – und was beide Seiten beachten müssen.

1. Bedeutung der AU im Arbeitsrecht

Die AU-Bescheinigung ist der zentrale Nachweis für eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Sie ist rechtlich gesehen das wichtigste Beweismittel im Entgeltfortzahlungsprozess und genießt einen hohen Darlegungs- und Beweiswert.

Wird eine AU ordnungsgemäß vorgelegt, gilt die Arbeitsunfähigkeit als bewiesen – es sei denn, der Arbeitgeber kann konkrete Zweifel begründen.

Besonderheit bei Fortsetzungserkrankungen: Nach sechs Wochen endet der Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Reicht der Arbeitnehmer danach eine neue AU mit neuer Diagnose ein, trägt er die Beweislast. In diesem Fall ist der Beweiswert der Bescheinigung reduziert. Der Arbeitgeber kann die neue AU also einfacher anzweifeln.

2. Wann kann der Beweiswert der AU erschüttert werden?

Trotz ihres hohen Beweiswerts ist die AU nicht unantastbar. Typische Zweifelsfälle – das sollten beide Seiten wissen:

  • Untersuchung telefonisch/Videosprechstunde: Erfolgt die AU nur telefonisch oder per Videosprechstunde ohne klare ärztliche Prüfung, kann das den Beweiswert mindern.
  • Zweifel an persönlicher Untersuchung
  • Widersprüchliche Atteste
  • Formelle Mängel: Rückdatierungen, fehlende durchgehende Behandlung oder Ausstellung durch nicht approbierte Personen (z. B. medizinisches Assistenzpersonal) sind problematisch.
  • Kollusives Verhalten: Häufen sich im Betrieb auffällige, abgestimmte Krankmeldungen, kann das auf abgesprochene Krankschreibungen hindeuten.
  • Widersprüchliche Atteste oder Angaben des Arbeitnehmers: Erklärt ein Arbeitnehmer beispielsweise offen, er benötige „nur eine Krankschreibung für private Angelegenheiten“, entfällt der Beweiswert vollständig.
  • Verstoß gegen AU-Richtlinien: Hält sich der Arzt nicht an die medizinischen Vorgaben der AU-Richtlinie (§§ 4, 5), etwa zur ordnungsgemäßen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, kann die Bescheinigung an Beweiskraft verlieren.
  • 🌍Auch ausländische Atteste müssen präzise sein  AU-Bescheinigungen aus Nicht-EU-Staaten sind nicht automatisch schlechter  – aber sie müssen klar machen, dass Arbeitsunfähigkeit (nicht nur Krankheit) attestiert wurde.
  • Arbeit trotz AU (vergleichbare Tätigkeit bei Dritten)
  • „Passgenaue“ Krankschreibung nach Kündigung: Wird ein Arbeitnehmer am Tag seiner Kündigung krank – und deckt die AU exakt die Kündigungsfrist ab –, kann das Zweifel begründen. Entscheidend

🔍 Beispiel: BAG, Urteil vom 18.09.2024 – 5 AZR 29/24: Kündigung am Freitag, AU ab Montag bis zum Ende der Kündigungsfrist, ab dem Folgetag neue Stelle: Ergebnis – Beweiswert erschüttert, kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

  • Widerspruch zwischen Attest und Verhalten:
    🔍 Beispiel: BAG, Urteil vom 15.01.2025 – 5 AZR 284/24:  24 Tage „strenge häusliche Ruhe“ in Tunesien attestiert – zwei Wochen später Rückreise mit der Fähre über Genua. Ergebnis: Beweiswert nicht haltbar.
  • Wiederholte Krankschreibung bis Vertragsende: Lückenlose AU-Zeiten bei befristeten Verträgen bis zum letzten Tag wecken regelmäßig Misstrauen.
  • Nichterscheinen beim Medizinischen Dienst (§ 275 SGB V): Wer sich einer angeordneten Überprüfung entzieht, riskiert die Anerkennung der AU.
  • Beginn neuer Tätigkeit direkt nach Ende der AU
  • Häufige Krankschreibungen nach Urlaub

3. Was passiert, wenn der Beweiswert erschüttert wird?

Wird der Beweiswert erfolgreich erschüttert, kippt die Beweislast: Der Arbeitnehmer muss dann selbst beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war – und das ist nicht einfach.

Was der Arbeitnehmer darlegen muss:

  • Genaue Schilderung der Beschwerden
  • Konkrete Diagnose und ärztliche Behandlung, u.a. Entbindung der Ärzte von der Schweigepflicht
  • Nachvollziehbare Begründung, warum er seine Arbeit nicht ausüben konnte

Pauschale Aussagen genügen nicht – das Gericht muss nach § 286 ZPO überzeugt sein.

4. Fazit:

Für Arbeitnehmer gilt:

  • Die AU ist ein starker Schutz, aber kein Freibrief. Wer unplausible oder widersprüchliche Angaben macht, riskiert den Verlust des Entgeltfortzahlungsanspruchs.
  • Achten Sie auf formale Richtigkeit, vermeiden Sie Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Erkrankung und seien Sie sich bewusst: Bei Erschütterung des Beweiswerts müssen Sie selbst die Arbeitsunfähigkeit beweisen – und das ist oft schwierig.

Für Arbeitgeber gilt:

  • Die AU ist nicht unantastbar – bei konkreten Zweifeln kann und sollte der Beweiswert angegriffen werden.
  • Dokumentieren Sie auffällige Muster (z. B. AU exakt bis zum Vertragsende oder direkt nach Kündigung).
  • Ziehen Sie bei Bedarf den Medizinischen Dienst (§ 275 SGB V) hinzu und lassen Sie die Rechtslage prüfen.
  • Entscheidend ist, dass Zweifel konkret und nachweisbar sind – pauschales Misstrauen genügt nich

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